1. Schock: Der Schock ereilte mich, als ich erkannte, dass ich 1,2km Wegstrecke in 3 Teilabschnitte zerlegen musste und es mir nicht möglich war 3x am Tag 20 Minuten auf zu sein. Von ärztlicher Seite hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Hilfe zu erwarten. "Ja, das gibt es manchmal."- Das fühlte sich aber alles andere als "normal" an...- Es gab immer mal wieder eine solche Schockphase.- Zum Beispiel fast ein ganzes Jahr später, als ich plötzlich merkte, dass ich mein Wasser nicht mehr halten konnte. Ein österreichischer Psychologe, der selbst von Longcovid betroffen ist, schilderte, wie er bei jeder Nachfrage nach seinem Befinden eine Retraumatisierung erlebt hatte.- Genau so ging es mir über viele Wochen (Monate?) bei meinen wöchentlichen Arztbesuchen. Ich trat in das Sprechzimmer, man fragte alles in mir klappte zusammen. Ich kam mir vor, als hätte ich ein feines Gericht unter einer silbernen Servierglocke (nennt man das so?) vorbereitet, doch der Arzt hebt die Abdeckung und darunter liegt--- ein Mettigel. Nein, nicht ein rohes Hähnchen, auch kein Stück gehäutetes Fleisch, sondern mit grober Gewalt bis zur Unkenntlichkeit zerstörter Körper...
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2. Festhalten, Ablehnung: Ein Impfschaden war echt das Letzte, was ich haben wollte. Ich redete mir ein, dass ich bestimmt eine unentdeckte Coronainfektion hatte, was wegen beruflich verlangter, regelmäßiger Testungen aber extrem unwahrscheinlich war. Auch hatte bis zu diesem Zeitpunkt niemand aus meinem Haushalt oder näherem Umfeld Corona gehabt... Der nächste Erklärungsansatz war, dass einer der Infekte die Postvirale Fatigue ausgelöst hatte. Erst sehr allmählich konnte ich mir eingestehen, dass es schon vorher Anzeichen gab und dass ein Puzzleteilen zum anderen passte, wenn ich die Impfung als Auslöser betrachtete... - Da hatte ich schon selbst einen solchen inneren Kampf mit dieser Diagnose auszufechten. dann musste ich noch erleben, dass ich nun "ein Politikum" wurde. Für die einen war ich direkt ein Nazi, wenn ich Zweifel an der hilfreichen Wirkung der Impfung für mich äußerte. Die anderen bezeichneten mich als "selbst schuld" und "dummes Schlafschaf", denn das hätte ich ja besser wissen müssen. - Mich darf es so eigentlich nicht geben in unserer Gesellschaft!
3. rationale Einsicht: Auch die kam kleckerweise, war aber gar nicht so schwierig. Zu der Zeit konnte ich noch ganz gut lesen und verstand recht früh das Krankheitsbild von ME/CFS und die Schwierigkeiten einer adäquaten Behandlung.- Da war ich ca. nach nem halben Jahr, würde ich sagen.
4. emotionale Einsicht/ Loslassen: Das war dagegen eine echt schwere Geburt. Das geht eben nicht über den Kopf, die Ratio. Da kannst du noch so viele biologische Fakten kapiert haben. Das hier ist radikale Akzeptanz. Ja! Es ist, wie es ist! Jetzt, sofort kann ich die Situation nicht ändern, nur hinnehmen. Ich würde behaupten, dass diese Phase bei mir zweigeteilt abgelaufen ist, denn ich musste auch komplett aus dem Gedanken raus: Ich tue jetzt nur noch, was gesund ist. Mir war schon viele Monate klar, dass ich Leichtigkeit schmerzlich vermisste, doch ich hatte keine Idee, wo ich diese herbekommen sollte...
Das Finden der Baseline ist hier meiner Ansicht nach zentral und hat sich bei mir durch die Phasen 4. und 5. gleichermaßen gezogen.
5. üben & ausprobieren: Das Finden der eigenen Baseline ist mir echt schwer gefallen. Permanent haute mir mein Hirn dazwischen, was mir Sätze flüsterte wie: mit der Familie essen, wird ja wohl drin sein oder du wirst dir ja wohl die Anliegen deiner Lieben anhören können und eine freundliche Stellungnahme abgeben können oder man duscht ja wohl vor Arztbesuchen, ... - Aber es war eben nichts mehr so, wie mein Gehirn es verinnerlicht hatte. Zum Glück hat mich meine Familie sehr unterstützt darin, dass ich meine Erwartungshaltung mir gegenüber komplett zurück fahren konnte.
Das reichte mir aber nicht. Ich wollte seelisch gewappnet sein für eine chronische Krankheit, die möglicherweise fortschreitend ist oder lebenslänglicher Begleiter wird. Das letzte, was ich wollte, war jammernd in der Ecke liegen und den Menschen, die mir viel bedeuteten, das Leben sorgenvoll und schwer machen. Dankenswerterweise bin ich mit einer guten Portion Humor und Selbstironie aber auch Zuversicht ausgestattet. Ich wollte innerhalb meiner Möglichkeiten Beschäftigungen finden, welche mir Freude bereiteten. Diese durften meine Energie nicht schon während der Vorbereitungen verausgaben, mussten kurz und knackig durchzuführen sein...- Viel blieb da nicht: beim Nähen legte ich die Stoffstücke verkehrt aufeinander, stricken als hochgradig monotone Bewegung gab dem beteiligten Gewebe regelmäßig den Rest, versuchte ich zu kochen, so wurde mir so übel, dass ich garantiert nichts mehr von meinem Gericht essen mochte. Singen und später dazu Gitarre Klampfen funktionierte. "Kritzeleien" auf dem I-pad funktionierten, Sauna funktionierte, Kinderhörbücher (Cornelia Funke ist einfach großartig) funktionierten. - Mit all dem bin ich gestartet. Die Lichterkette war zunächst eher funzelig, gewann aber an Strahlkraft, als ich beschloss meine nervigen "Pflichtspaziergänge" gegen 10 Minuten Gartenarbeit einzutauschen. Und so habe ich entgegen meiner ökologischen Überzeugung Weihnachten damit begonnen Verblühtes im Garten abzuschneiden und Unkraut zu jäten.- Das hatte ja sogar einen gewissen Nutzen. Zum Putzen des Badezimmers benötigte ich eine ganze Woche, aber es war ein gutes Gefühl.- Nie in meinem Leben hatte ich lieber Toiletten geputzt...
Eine echte Herausforderung war aber die Tageslänge. Es war mir unmöglich einen ganzen Tag mein Energielevel so zu halten, dass ich nicht in schwere Grippesymptome fiel. Oft war schon um 14.00 Uhr Ende. Da aber Schlafen zur Erholung auch nicht im Programm vorgesehen war, war das ein echtes Problem. Lösung brachte hier das Verschieben der einzelnen Aktivposten im Laufe des Tages. Als ich endlich erkannt hatte, dass Verdauung meinen Körper sehr anstrengt, bekam er Verdauungspausen und weniger Mahlzeiten. Zurzeit braucht mein Körper es gegen Mittag, dass mein Hirn zwei Stunden lang Pause bekommt.- Das ziehe ich auch im Urlaub oder auf den Fahrten durch und damit geht es mir super.- Doch: wie schaltet man sein Hirn aus bzw. auf einen niedrigen Energielevel? Wie sieht für meinen Körper in dieser Situation angemessenes Pacing aus? Fest steht: die üblichen Verdächtigen wie lesen, Handy, Serien, Hörbuch etc. sind nicht geeignet...- Für mich waren je nach Tagesform in den schwereren Phasen meiner Krankheit nur folgende Zeitvertreibe möglich:
-"Delirium": liegen, Augen zu, Gedanken treiben lassen (Nein, gegrübelt habe ich nie.- Das ging auch gar nicht, da ich nicht in der Lage war, irgendwelche Gedanken zielgerichtet zu verfolgen...)
-"Naturfernsehen": Ich habe einen genialen Ausblick von Bett und Sofa und habe einfach den Vögeln oder den Wolken zugesehen. Damit habe ich Stunden verbracht.
-Tauchvideos: ohne Ton, einfach nur die netten Farben und Formen, das Dahinziehen und Plätschern- auch so konnte ich manche Stunde verbringen
-AVWF-Musik (Musik zur Audiovisuelle Wahrnehmungsförderung): Müsst ihr googeln, war mir aus beruflichem Kontext bekannt. Ich habe mir gute Kopfhörer gekauft und mir zwei CDs schenken lassen.-Ich denke, dass ich mittlerweile schon auf die Musik konditioniert bin und habe das Gefühl, dass Entspannung sehr flott damit einsetzt. (Wirkung auf den Parasympathikus.- Polyvagaltheorie lohnt es sich auch zu googeln.)
-Marina Orth- Entspannung mit der erLiebensWERT Safari
-DM Harmonics: Delta-Code- Der Schlüssel zur Selbstheilung Sehr angenehm, man wird dazu eingeladen, dabei einzuschlafen. Die Datei war teuer, aber ein absoluter Lebensanker, gerade im Urlaub, wenn die AVWF CDs nicht zum Einsatz kommen konnten...- Das ist zurzeit meine absolute Lieblingsentspannung.
-Joe Dispeza - Den fand ich früher ganz gut. Aber wenn dir so ein Entspannungsguru immer sagt, dass du dafür sorgen sollst, dass dein Körper nicht dein Mind regiert, dann ist das mit ME/CFS doch sehr frustrierend. Das würde ja bedeuten, dass ich unfähig bin. Dabei wollte ich die Symptomatik eher so verstehen, dass ich dem Körper genauer zuhören musste...- Letztlich waren seine Meditationen für mich über Monate hinweg auch aus kognitiven Gründen nicht machbar. Die erforderliche Konzentration konnte ich nicht einmal 10 Minuten halten...
-Neurografik: Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf gestoßen bin, aber die Kombination von Reflexion und Kritzelei hat mich sehr entspannt und ich habe zum Teil jeden Tag mindestens eine Stunde damit umgebracht...
6. Erkenntnis: Mittlerweile bin ich auch hier angekommen und ich habe einiges verstanden: Die Erkenntnis, dass ich nicht in meinen alten Beruf zurück kehren kann, die Erkenntnis, dass ich dennoch ein glückliches Leben haben werde und trotz Krankheit liebenswert bin. Die Erkenntnis, wie ich mit mir und meiner Erkrankung umgehen muss, um maximal etwas aus meinen Tagen herausholen zu können. - Ich fürchte, dass hier auch die Erkenntnis dazu gehört, dass es so etwas wie gesund werden nicht geben wird und ich dauerhaft mit dieser Krankheit umzugehen habe...
7. Integration: In dieser Phase befinde ich mich jetzt und das ist auch de rn, weshalb ich hier weniger aktiv bin. Ich will nicht mehr immer um die Krankheit kreisen. Sie ist da und ich habe damit umzugehen. Fertig! Für mich geht es jetzt darum Lebensqualität und Krankheit zusammenzubringen. Bei meinem Krankheitslevel scheint mir das möglich. Ihr könnteuchgr nicht vorstellen, wie dankbar ich für mein sonniges Gemüt und optimistisches, pragmatisches Denken bin. Ich brauche für alles sehr viel länger und vieles geht auch gar nicht mehr. Aber ich habe ein schönes Zuhause und tolle Menschen (und Tiere) um mich herum, viele Ideen und Hobbys.- Da lässt sich doch bestimmt noch mehr draus machen...
Changemanagement
Phasen in Krisen
und wo stecke ich jetzt?